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Rien ne va plus - von 120 auf 0 binnen 72 Stunden.

Normalerweise wäre ich, gemeinsam mit unserem Team, jetzt mitten in den Vorbereitungen zum 24H Rennen am Nürburgring für das zweite Event der FIA certified Gran Turismo Championships der Saison 2020. Die heiße Phase würde jetzt beginnen und es würde so langsam anfangen zu kribbeln. Was habe ich mich auf den Motorsport und das Getümmel am Nürburgring gefreut: Gemeinsam mit der ganzen Crew lange Nächte an der Rennstrecke zu genießen, die Motoren der Rennfahrzeuge heulen zu hören oder die Teams in der Boxengasse zu besuchen. Aber am Wichtigsten war es mir aber immer, alle, mit denen wir seit Jahren zusammenarbeiten, wieder zu sehen und gemeinsam ein weiteres spannendes Projekt zu realisieren.

Normalerweise… Dieses Jahr ist eben alles anders. Und ich sage ehrlich, ich vermisse das “normale” Leben, meine Partner, meine Jungs, die langjährigen Bekanntschaften. Ich vermisse meinen geregelten Tagesablauf, die Dynamik, die mein Beruf mit sich bringt, die Hektik, die Spannung, die entsteht, je näher eine Großveranstaltung rückt. Projekte in einer solchen Größenordnung kann man nicht alleine stemmen – dafür haben wir ein großartiges Team intern, aber auch wahnsinnig tolle externe Partner und Dienstleister, mit denen wir solche unvergesslichen Erlebnisse kreieren können. Jeder steht für den anderen ein, jeder schaut über den Tellerrand hinaus und hilft dem anderen, jeder geht über seine Grenzen hinaus und jeder zieht am selben Strang. Wir sind ein bunt gemischter Haufen an unfassbar tollen Menschen, die seit Jahren an diesen Projekten arbeiten und das hat uns sehr eng zusammengeschweißt. Genau diese Menschen, die Familie, die sozialen Kontakte und die gemeinsamen Erlebnisse, vermisse ich extrem.

Foto: FIA GTC (Getty Images)

Natürlich stehe ich auch jetzt in ständigem Kontakt mit dem gesamten Team, da wir über die Jahre eine tolle und innige unternehmerische Freundschaft aufgebaut haben. Quer über den Globus verteilt. Die Stimmung ist aber durch die Bank sehr bedrückt, wie weg geweht ist die positive Einstellung, der Elan, die Motivation, die ich immer so genossen habe. Wir alle wurden von der Tatsache überrascht, dass das Unmögliche wahr geworden ist und die Welt sich aufgehört hat zu drehen – zumindest fühlt es sich in unserer Branche so an sowie wahrscheinlich auch in vielen anderen Wirtschaftszweigen.

Zum ersten Mal mit COVID-19 „konfrontiert“ wurde ich, als ich Mitte Januar nach Sydney zu einer Location-Besichtigung geflogen bin. Bei meinem Rückflug via Shanghai stand ich plötzlich am Gate Fiebermessungen und Wärmebild-Kameras gegenüber – allerdings realisierte ich noch nicht richtig, was genau da passiert. Nur knapp habe ich meinen Anschlussflug nach Zürich erreicht und erst als ich in der Luft war, habe ich verstanden, wie prekär die Lage im fernen Osten ist. Zu Hause angekommen, habe ich mich sofort mit dem restlichen Team abgestimmt. Da wir das FIA certified Gran Turismo Championship Auftakt-Event Mitte Februar angesetzt haben, haben wir vorsorglich alle Flüge mit Zwischenstopp auf Singapur, Doha oder andere Umschlagflughafen umgebucht. Aber das war es erstmal an Maßnahmen, um sicherzustellen, dass wir alle am Virus vorbei reisen und am Ziel Australien ankommen.

Europa blickte natürlich auf China und die Entwicklungen rund um die COVID-19 Pandemie. Um ehrlich zu sein, haben wir uns doch alle in Sicherheit gewiegt, denn weder in Europa noch in Australien, wo wir unser Event geplant hatten, gab es irgendwelche Anzeichen darauf, dass wir gefährdet wären. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft, Hygieneregeln in den Hotelzimmern angebracht, aber das war es dann aber auch. Im Nachhinein betrachtet hatten wir damals schon verdammt viel Glück, dass wir die Veranstaltung doch noch so erfolgreich durchführen konnten und dass wir alle (und wir sprechen von einer 200 Mann Produktionscrew) alle gesund und sicher wieder zu Hause angekommen sind. Drei Wochen nach unserer Abreise in Australien, war der Formel 1 Gran Prix Auftakt in Melbourne geplant. Wie diese Geschichte ausgegangen ist, konnten wir alle aus den Medien vernehmen. Der Gran Prix wurde abgesagt und der Virus war plötzlich allgegenwärtig – weltweit.

Am 20. Februar bin ich, aus Sydney via Singapur kommend, in Zürich gelandet. Zwei lange und intensive Wochen lagen hinter mir, die unvergesslich bleiben, aber im positiven Sinn: Wir hatten einen super tollen, emotionalen Auftakt, ein gutes Review-Meeting nach der Veranstaltung und ehrlich, die Stadt Sydney und dessen Bewohner sind einzigartig. Aber ich habe mich sehr auf auch meine Familie gefreut. Die Zeitverschiebung zwischen Europa und Australien war eine Herausforderung und ich habe meine Frau und unsere zwei Prinzessinnen kaum bis gar nicht gesprochen oder gesehen. Ich habe mich sehr auf das Wiedersehen und die gemeinsame Zeit gefreut. Zugegeben, mein Kalender lies nicht viel Erholung und Auszeit zu, da wir, zusammen mit Michelin, an einem integrierten Gran Turismo Konzept für den Genfer Automobilsalon Anfang März gearbeitet haben. Aber immerhin knapp zwei Wochen zu Hause bei meinen Mädels ohne geplante Dienstreise.

Wie vereinbart, sind wir am 1. März 2020 nach Genf gereist, um dort den Aufbau sowie einen Test durchzuführen. Bei Ankunft in Genf wurde uns mitgeteilt, dass der Genfer Automobilsalon 2020 aufgrund des Virus und den einhergehenden COVID-19 Verordnungen der eidgenössischen Regierung abgesagt wurde und wir unverzüglich wieder abreisen sollten. Für mich war das der Zeitpunkt, als ich die Tragweite für unsere gesamte Branche realisiert habe. Gänsehaut. Überforderung. Frustration. Nervosität.

Von da an hagelte es Absagen. Wir hatten ein großartiges Jahr vorhergesehen, denn die Auftragsbücher waren prall gefüllt und wir haben intensiv darüber nachgedacht, das Team nochmals zu verstärken. Binnen 72 Stunden waren alle Projekte, an denen wir gearbeitet und intensiv vorbereitet hatten, storniert, abgesagt, bis auf weiteres pausiert. “Rien ne va plus” also – kompletter Stillstand. Keiner weiß was jetzt zu tun ist, wie es weitergeht, geschweige denn, wann es überhaupt weitergehen kann. Das ist nun exakt 10 lange Wochen her.

Was aber sind die positiven Effekte der Corona-Krise?

Um ehrlich zu sein, bin auch ich erstmal in ein tiefes Loch gefallen. Zwei Wochen habe ich erstmal mit mir selbst gehadert, denn wer mich kennt, weiß, dass ich dauerhaft in Bewegung bin, immer eine Aufgabe suche und habe, den Stress gewissermaßen brauche, um wirklich produktiv zu sein. Vor allem aber liebe ich meinen Beruf, die Gemeinschaft und das Team, mit denen wir so viele unmöglichen Dinge möglich machen konnten. All die positive Energie war innerhalb von 72 Stunden durch diesen Virus erstmal vernichtet worden.

Aber ich habe eine Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und den Mitarbeitern. Gespannt habe ich, gemeinsam mit meinem langjährigen Partner, im Büro gesessen und die Pressekonferenzen der Bundesregierung verfolgt. Mit jeder PK, mit jedem Pressetext, mit jedem Tag wurde die Situation aussichtsloser und belastender. Aber das, was mich persönlich am meisten belastet hat, war die Tatsache, keine sinnvolle Aufgabe mehr zu haben, keine Ziele, keine Perspektive, wann der Spuk ein Ende hat. Tagtäglich bin ich noch tiefer in dieses Loch gefallen.

Wer mich kennt, weiß aber auch, dass ich niemals aufgebe und stets positiv nach vorne schauen will. Erstmal habe ich mir, mangels Motivation und Perspektive, eine Auszeit verpasst. Die Jahre 2018, 2019 und die ersten Monate 2020 waren sehr intensiv mit nur wenigen Pausen. Diese Pause habe ich mir dann erstmal gegönnt (naja wahrscheinlich auch nur aus dem Grund, da ich ja im Büro nichts zu verpassen befürchtete). Und genau diese Pause hat mir sehr viel positive Energie gegeben, um weiterzumachen. Die positiven Einflüsse haben mir die Perspektive und den Ehrgeiz zurückgegeben und treiben mich bis dato an, an uns als Team zu glauben, um gestärkt aus dieser Krise hervorzutreten.

Doch welche positiven Erfahrungen sind damit gemeint?

Zeit für die Familie:

Ich arbeite gerne und arbeite auch gerne viel. Normalerweise startet mein Arbeitstag im Büro um 6.00 Uhr morgens und endet gegen 17.30 - 18.00 Uhr. Die gemeinsame Zeit am Abend mit den Kindern war und ist mir sehr wichtig. 1-2 gemeinsame Stunden, über den Tag reden, herumalbern, kuscheln und das gemeinsame Abendritual. Dafür bin ich morgens immer sehr früh aufgestanden, um das Pensum, das ich mir selbst auferlegt habe, zu meistern. Zugegeben, die Geschwindigkeit, die zunehmende Komplexität, die Anforderungen sind jährlich gewachsen, sodass diese gemeinsame Zeit auf ein Minimum reduziert wurde. Schleichend, ganz langsam.

Die Corona-Krise hat mir diese gemeinsame Zeit wiedergegeben. Länger und intensiver als ich das je gedacht hätte. Täglich wache ich nun, ohne einen Wecker stellen zu müssen, um 7.00 Uhr kuschelnd mit meinen beiden Töchtern im Arm auf. Wir genießen nun jeden Tag ein gemeinsames Frühstück, wir starten gemeinsam in den Tag und genießen diese Zeit wahnsinnig.

Der ganze alltägliche Stress, die Tagesagenden, die ich mir jeden Abend für den kommenden Tag zurechtlege, die enorme Dynamik in meinem Leben, haben mich wie ferngesteuert. Und ich habe offensichtlich auch die Augen davor zu gemacht und vergessen, wie sehr ich meine Familie brauche und vor allem aber, wie sehr meine Familie mich braucht.

Zeit zu Hause:

Die letzten Monate und Jahre war ich enorm viel auf Reisen. Beruflich natürlich. Ich habe mich an die Fliegerei, an die vielen Autofahrten, an die ständig wechselnden Hotels in verschiedenen Ländern und Städten gewöhnt. Es war normal.

Die Corona-Zwangspause hat mir die schönen Vorteile von zu Hause wieder vor Augen geführt. Vertraute vier Wände, ein eigenes Bett – es ist toll wieder einmal so lange, ohne Unterbrechung daheim, in unserem gemeinsamen zu Hause zu sein.

Vorbei waren aber auch die Zeiten der leeren Versprechungen. Ich konnte schließlich nicht mehr die Argumente Zeitnot und Stress vorschieben. Mir wurde bewusst, dass ich nun endlich die Dinge anpacken muss, die ich meiner Frau und den Kindern versprochen hatte zu tun, wenn es denn die Zeit endlich mal zulässt.

Wir wohnen seit gut 5 Jahren in unserem Haus, den Garten hatte ich jedoch noch nicht angefasst. Bis auf eine grüne Wiese, einen Sandkasten, den es 2019 zum Osterhasen für die Mädels gab und eine kleine Kinder-Spielhütte war da nichts im Garten. Keine Pflanze, kein Baum, kein Charme, nichts was dafürspricht, dass du dich gerne im Garten aufhalten willst. Also musste ich nun endlich mal ran: Eine kleine Sitzecke mit Terrassenunterbau wurde gebaut, für die Kinder gab es eine Schaukel, meine Frau bekam ihre Hochbeete und Blumen (es sind 25x Blumenstöcke, die eingepflanzt werden mussten!!!) und 3 Bäume wurden gepflanzt. Zudem wurden die Holzdielen im kompletten Haus neu geölt und die Dielen auf der Terrasse gereinigt und neu lasiert!

Ja, ich hatte und habe endlich die Zeit zu Hause anzupacken und die Dinge, die ich ewig vor mich hergeschoben habe, zu Ende zu bringen. Und ja, es hat mich erfüllt, denn ich hatte eine sinnvolle Aufgabe für mich gefunden. Der positive Nebeneffekt: Wir sind jetzt super gerne mit den Kindern im Garten und genießen die Zeit zu Hause!

Zeit für mich:

Mein Leben ist schon seit jungen Jahren von sehr vielen Interessen geprägt. Das Portfolio ist breit, so breit, dass ich es niemals schaffe, alles unter eine Hut zu bekommen. Wie oft habe ich mir Bücher, ob Roman oder Sachbuch, gekauft und habe es niemals gelesen, weil es die Zeit einfach nicht zu gelassen hat.

Ich bin mit Sport aufgewachsen. Ob Fußball oder Tennis in meiner Jugend, Marathon und Triathlon in meiner Studienzeit, Bewegung in der Natur war mir immer wichtig und habe ich enorm genossen. Auch hierfür fehlte mir irgendwann die Zeit.

Auch nach Feierabend (also laut meiner Definition die Zeit, nach dem Verlassen des Büros) klingelte bei mir ständig das Telefon. Es gab keine Zeit der Ruhe, Zeit für Erholung, wenn ein wichtiges Projekt in der Vorbereitung war. Auch die Zeitverschiebungen zu den Ländern unserer Kunden und Dienstleister verschärften, mit zunehmender Internationalisierung unseres Geschäfts, die Situation noch einmal.

Beruf und Familie, in Verbindung mit den vielen Reisen und den langen Arbeitstagen, haben nicht viel Freizeit zu gelassen. Die Wochenenden habe ich damit verbracht Einkäufe zu erledigen, Familie zu besuchen, kleinere Hausarbeiten zu erledigen. Es war immer etwas los – jeder Tag war gefüllt. Meist habe ich meine persönlichen Bedürfnisse, die Zeit, die ich für mich brauchen würde, hinter alles andere gestellt. Meist mit dem Gedanken, wenn am Ende vom Tag noch Zeit übrig ist, mir eine Stunde für mich zu nehmen. Und so vergingen Wochen und Monate, in denen meine Laune immer schlechter wurde und meine Familie die Leidtragenden waren.

Corona hat mir die Zeit für mich und meine innere Ruhe wieder ein Stück weit zurückgegeben. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich wieder mehr für mich tun muss – das zu tun, was gut für mich ist, um meinen Ausgleich vom hektischen beruflichen Alltag zu finden. Ich habe gelernt, auf meine innere Stimme zu hören und mir mehr Auszeiten zu gönnen, um den Kopf frei zu bekommen. All das – und das hat mir diese Zwangspause eindrucksvoll bewiesen – fördert die Kreativität, den Ehrgeiz und den Kampfgeist.

All diese positiven Einflüsse haben mir auch meine positive Energie zurückgegeben, die mich angespornt hat, weiter zu machen. Die “Kellerleichen”, die ich privat angepackt habe, mussten nun auch in unserer Agentur angepackt werden. Das Motto war, die Zeit des Stillstands zu nutzen, das Unternehmen farblich neu einzukleiden, eine neue Unternehmens-Präsentation auf die Beine zu stellen, die Homepage neu zu gestalten – alles Themen, die wir seit Jahren vor uns herschieben, bis wir dann mal endlich Zeit dafür haben. Und mit der positiven Energie und den kleinen Erfolgserlebnissen kamen auch die Kreativität und die Ideen zurück. Plötzlich hatten wir zwei, drei gute Ansätze, die wir zu Konzepten ausformuliert haben. So schnell wir aus dem beruflichen Alltag gerissen wurden, so schnell waren wir wieder zurück im Geschäft und arbeiteten eifrig an neuen, kreativen, digitalen Ideen, die uns eine Perspektive bieten – auch weit über die Corona-Krise hinaus. Natürlich hat die Corona-Krise auch uns hart getroffen und viele lukrative Aufträge sind storniert worden, die Einnahmen eingebrochen und natürlich geht das auch nicht spurlos an uns vorbei. Aber wir haben eine Vision, an die wir alle im Unternehmen glauben: Eine Vision, die uns die Kraft gibt, weiter an unseren Konzepten zu feilen, weiter mit unseren Kunden an Lösungen zu arbeiten sowie Konzepte zu erarbeiten, an die wir glauben und einen Mehrwert bieten, auch über die Corona-Krise hinaus. Der Glauben ist zurückgekehrt und wir haben uns ganz fest vorgenommen, die Zeit des Stillstands zu nutzen und uns auf eine “neue” Welt in der Veranstaltungsbranche nach Corona vorzubereiten.

Psychologisch war diese Zeit sicherlich eine der schwierigsten in meinem Leben bis hierher. Aber Corona hat durchaus auch positive Begleiterscheinungen mit sich gebracht, für die ich dankbar bin. Eines hat die Krise unterstrichen: Glaube an dich und deine Fähigkeiten, denn jede Krise bietet auch Chancen.

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